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In seinem 2022 im HERDER Verlag veröffentlichten Buch „Knockin´on Jimmy´s Door“ widmet sich Dada Peng auch dem Suizid und der Frage, wie wir dieses Thema gesellschaftlich enttabuisieren können. Dada Peng nennt in diesem Buch den Tod „Jimmy“ um ihm auf Augenhöhe und angstfrei begegnen zu können.

Das Kapitel trägt den Namen: Jimmy, Dada & der Suizid

„Das Schreiben eines neuen Buches ist immer auch eine Entdeckungsreise zu den eigenen Bewertungen, Überzeugungen und Glaubenssätzen.

Mir war mein enger Bezug zu Jimmy immer bewusst. Aber habe ich auch eine Beziehung zum Suizid? Der Mann einer Freundin hat sich vor Jahren das Leben genommen. Da war ich sehr nah dran. Wir hatten noch, kurz bevor er Suizid beging, gemeinsam meinen Geburtstag gefeiert. Ich hätte niemals vermutet, dass er suizidale Gedanken hegte, dass er lebensmüde war, dass er einen Suizid plante.

Auch meine Freundin hat von alledem nichts geahnt. Ich erlebte ihre absolute Verzweiflung, ich musste miterleben, wie ihr Umfeld sie als Ehefrau naturgemäß für den Suizid verantwortlich machte, und wie schwer die Zeit der Trauer gepaart mit einem sehr ausgeprägten Schuldgefühl für meine Freundin wurde.

Das war bisher für mich mein engstes und ich dachte auch einziges Aufeinandertreffen von Jimmy, Dada und dem Suizid.

Ist das Thema Suizid überhaupt ein Thema, das wir besprechen müssen ,oder betrifft das nicht nur depressive Menschen, einige wenige, die mit ihrem Leben nicht klarkommen? 

Was ist mit meinen eigenen suizidalen Gedanken? Gibt es sie, und wenn ja, muss ich diese ernst nehmen? Oder hat diese Gedanken jeder?

Wenn ich ganz genau zurückdenke, dann gab es bereits einen Suizid im Bekanntenkreis meiner Eltern bereits einen Suizid, als ich noch in der Grundschule war. Wir waren damals zu der Zeit mit der ganzen Familie im lokalen Fußballverein aktiv, und ein junger Spieler, Carl, etwa um die zwanzig, nahm sich damals das Leben, indem er sich in der Garage einschloss und das Auto laufen ließ. 

An den Abend, an dem sein Tod bekannt wurde, kann ich mich noch erinnern. Nicht mehr so sehr an die einzelne Tatsachen und Begebenheiten, dafür aber an die Gefühle, die aufkamen: Schock, Trauer, Ratlosigkeit. Und natürlich wurde auch zwischen meinen Eltern ganz direkt die Frage gestellt: Warum hat er das gemacht, wer hat Schuld?

Bei uns im Dorf war die Antwort verhältnismäßig naheliegend, da sich etwa zwei Wochen vor dem Suizid die Freundin von Carl getrennt hatte.

Für mich war es schon immer schwierig, zu glauben, dass ein losgelöstes Ereignis zu einem Suizid führen kann. Dann müssten ja alle Menschen nach einer Trennung ähnliche Gedanken haben. Aus meinen eigenen Trennungen kann ich aber bestätigen, dass die Zeit nach einer ungewollten Trennung oftmals eine ganz wunderbare Zeit ist. Leicht und frei und gar nicht schwer, zumindest wenn der erste Schmerz überwunden ist.

Kann also überhaupt irgendjemand am Suizid eines anderen Menschen schuld sein? Ich habe Jimmy dazu befragt, denn bekanntlich ist er ja immer der erste vor Ort. 

„Ich kenne keine Schuld. Für mich ist jedes Sterben einfach nur der Übergang von hier nach dort, und ich versuche, so gut es geht zu unterstützen. Die Menschen wünschen sich oft, mich und das Sterben eines geliebten Menschen zu verstehen. Deshalb arbeite ich auch von Herzen gerne an diesem Buch mit, damit der ein oder andere meine Beweggründe besser versteht und so glücklicher leben kann.“

Ich frage nie nach dem Warum? Warum hat der siebenjährige Junge Krebs, warum hat der Autofahrer nicht in den Rückspiegel geguckt und den Radfahrer übersehen, warum hat Carl Suizid begangen? Es ist für mich einfach, wie es ist.

„Es ist, was es ist“, das sagt nicht nur die Liebe“, das sagt auch Jimmy.

Müssen wir den Suizid also vielleicht neu bewerten? Müssen wir überhaupt immer alles bewerten?

Wir bewerten ständig und überall. In jeder TV-Show werden Punkte vergeben. Immer ist einer besser bzw. schlechter als ein anderer.  

Kann es überhaupt in Lebensfragen eine richtige, eine ultimativ gültige Bewertung geben?

Ich habe bereits vor Jahren aufgehört, Bewertungen meines Lebens und auch meiner Arbeit abzufragen. Natürlich war mir früher wichtig, dass meine Freunde und Familie, die Lieder, die ich schreibe, mögen. Dass sie sie als schön und gut bewerten. 

Nach einem Konzert im Jahre 2015, in dem ich zum ersten Mal auch auf Englisch sang, kamen die unterschiedlichsten Menschen auf mich zu. Die eine Hälfte sagte: Bleib lieber bei den deutschen Liedern. Die sind authentischer, die gehen ans Herz. Die andere Hälfte sagte: Die englischen Songs sind viel besser als die deutschen. Da spürt man deine Liebe zur englischen Sprache, und du singst viel befreiter. 

Das war für mich der Moment, in dem mir bewusstwurde, dass Bewertungen immer viel mehr über den Bewerter aussagen als über das zu bewertende Objekt. 

Umso bemerkenswerter ist es, dass bei der Bewertung des Suizids wir uns wiederum fast alle einig sind: Das ist für Hinterbliebene die schlimmste Art zu sterben, das ist das moralisch Verwerflichste, das geschehen kann. 

Hier kommen alle Kriterien zusammen, die zu einer schlechten Bewertung führen, zusammen: Das das ethische Fehlverhalten und das mutmaßlich vorhanden gewesene Leid des Verstorbenen, die Schuld des Umfelds und in den meisten Fällen die dramatischen Umstände des Todes, also wie sich der Verstorbene das Leben nahm.

Für die Hinterbliebenen eines Suizids stellt stellen sich die Bewältigung und die Trauer in der Tat als große Herausforderung dar. Denn auch sie bewerten. Sie haben nicht nur mit dem Verlust des Verstorbenen zu kämpfen, sondern bewerten auch das eigene Verhalten. Wo hätte ich etwas merken müssen? Warum konnte ich nicht helfen? Warum musste so etwas in unserer Familie geschehen? Und wie blickt nun die Gesellschaft auf uns?

Der Suizid muss ethisch und moralisch befreit werden. Deswegen wird sich nicht ein Mensch mehr und nicht ein Mensch weniger das Leben nehmen. Aber es wird eventuell den Angehörigen helfen, hinterher besser damit leben zu können. Denn natürlich sind am Ende in der öffentlichen Wahrnehmung immer die Hinterbliebenen schuld. 

Was also können wir gemeinsam tun, um den Suizid zu enttabuisieren?

Vielleicht beginnen wir damit, dass wir suizidalen Gedanken Raum geben. Dass wir sie erlauben und offen über sie sprechen. 

Haben wir solche Gedanken alle mal zu der einen oder anderen Zeit solche Gedanken in unserem Leben? Ich weiß es nicht. Ich hatte sie schon, habe aber habe noch nie mit jemanden darüber gesprochen. 

Suizidale Gedanken müssen ausgesprochen werden dürfen, ohne dass man deswegen direkt verhaftet und eingewiesen wirdzu werden. Und sie müssen auch im Freundeskreis und in der Familie ausgesprochen werden dürfen. Denn wenn sie da sind, dann sind sie okay. Man muss ihnen nicht nachgeben, man muss sich nicht an ihnen erfreuen, aber man hat auch nichts falsch gemacht. Man ist kein Loser, man ist nicht zwangsläufig krank. 

Lasst uns darüber sprechen, schreiben, singen und so auch Raum schaffen, damit diese Gedanken sich transformieren können, damit diese Gedanken vorübergehen.

Und ja, in Zeitschriften und in Online-Artikeln, die sich mit dem Suizid beschäftigen, steht häufig daneben eine Kontaktadresse für Menschen, die selbst an einen Suizid denken. Ist das aber wirklich eine Hilfe? Müssen wir solche Hilfestellungen nicht vielmehr im öffentlichen Leben, in freundschaftlichen Gesprächen und innerhalb der Familie schaffen?

Für mich müssen Jimmy und der Suizid in Schulklassen stattfinden. Wir müssen einen ganz neuen und schuldbefreiten Zugang zu diesen Themen schaffen. Wir müssen in Schulen aktiv eine Imagekampagne für Jimmy starten. Jungen Menschen ist Jimmy und auch der Suizid nicht fremd. Suizidale Gedanken bei Kindern und Jugendlichen sind bekannt. In Schulen ist Jimmy ein oft gesehener Gast. Eltern und Großeltern sterben, Lehrer sterben, Schulkameraden sterben. Die Klassengemeinschaft und der geschützte Schulraum eignen sich hervorragend, Lebensfragen zu besprechen und die Schüler nicht nur fit für den Job, sondern auch fit fürs Leben zu machen.

Mir sind die Schwierigkeiten, die viele mit diesem Thema haben, bewusst. Denn in erster Linie herrscht die allgemeine Angst bei dem Thema, man könne etwas falsch machen. Etwas Falsches sagen, hinterher am Suizid einer Person schuld sein.

Nein! Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir nicht lernen, natürlich mit dem Thema umzugehen, so implizieren wir immer wieder, dass suizidale Gedanken etwas Schlimmes und der Suizid selbst das Verwerflichste sei. Das verunsichert, treibt in die Isolierung und unterstützt suizidale Gedanken.

Und ja, es gibt Teenager, die beim ersten Liebeskummer sterben möchten. Ganz real. Unterstützen wir sie bei diesem Wunsch, wenn wir den Suizid enttabuisieren? 

Nein. Wir unterstützen sie in ihren Gedanken, wenn wir den Suizid weiterhin nicht besprechen.

 

 

11.10.2023 DADA PENG

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